Die Liebe – eine Frage von Disziplin, Konzentration und Geduld?

Wer in Deutschland über die Liebe schreibt, muss Erich Fromm erwähnen. Sein Buch „Die Kunst des Liebens“ ist nicht ganz taufrisch – 1956 in New York erschienen, ist es eine kritische Abrechnung mit dem Zeitgeist der 1950er Jahre. Fromm, im Jahr 1900 in Deutschland geboren, versucht in seinem Werk, die Liebe zu überhöhen und zu idealisieren. Dieses Ideal sei durchaus erreichbar, jedoch bedürfe es erheblicher Anstrengungen, es zu erklimmen. Dem damaligen Zeitgeist folgend, versucht Erich Fromm, die Menschen moralisch aufzubauen. Dabei erklärt einige Formen der Liebe als höherwertig, andere als weniger wertvoll, wobei er insbesondere mit der erotischen Liebe hadert. Getreu der damaligen Zeit hat sein Buch einen moralischen Anspruch: Fromm sagt, was Liebe gegenwärtig (1956) wohl „ist“, was sie stattdessen „sein sollte“ und wo Liebende etwas „verwechseln“. Die Idealisierung wird in folgendem Satz deutlich:

Die Liebe sollte im Wesentlichen ein Akt des Willens, des Entschlusses sein, mein Leben völlig an das eines anderen Menschen zu binden.

Was aber ist die erotische Liebe in diesem Konzept? Um dies zu erklären, bemüht er einen Dualismus: Die „erotische Liebe“ sei weder etwas „Einzigartiges zwischen zwei bestimmten Personen“ noch sei sie „ein reiner Willensakt.“ Die Frage, was die erotische Liebe dann sei, bleibt allerdings offen.

Einer den Kerngedanken von Fromm war, dass Liebe kein Gefühl ist, dass wir in der gleichen Weise für immer beibehalten, sondern eines, das sich erlernen und beherrschen lässt. Allerdings ist die nicht leicht, denn der Moralist hat hohe Erwartungen an den Menschen. Er soll, um die Kunst der Liebe zu erlernen, vor allem Tugenden anwenden, die in der Liebe zunächst als absurd erscheinen. Seine Medizin heißt „Disziplin, Konzentration und Geduld“. Um seine Denkweise zu verdeutlichen, muss man seine Gleichnisse lesen, die man etwas flapsig als „Lehrjahre sind, keine Herrenjahre“ bezeichnen könnte. Das bedeutet: Wir Menschen sind offenbar nicht Kraft unserer Existenz und Erfahrung in der Lage, die Liebe zu beherrschen, sondern wir müssen Lernen wie ein Auszubildender:

Ein Tischlerlehrling lernt zunächst einmal hobeln; ein angehender Pianist übt zunächst Tonleitern; ein Lehrling in der Zen-Kunst des Bogenschießens fängt mit Atemübungen an.

Bedauerlicherweise bleibt Fromm nebulös, wie eine derartige „Ausbildung“ stattfinden sollte – und vor allem, in welcher Lebensschule sie verfügbar ist oder nachgeholt werden kann.

Doch wie vertragen sich nun Disziplin Konzentration, Geduld und „Wichtigkeit“ als Zielvorstellungen mit der Liebe?

Liebe und Disziplin Wir erkennen aus der Kombination unschwer, dass es dem Deutschstämmigen Fromm schwerfällt, die Liebe leicht zu nehmen. „Disziplin“ steht im Deutschen gleichbedeutend mit Zucht („Zucht und Ordnung“). Wenn wir bei irgendetwas Disziplin üben müssen, haben wir das Gefühl eingeengt zu sein und gehorchen deshalb nur widerwillig. Im Grunde ist es darüber hinaus unnatürlich, Ziele ausschließlich durch „eiserne Disziplin“ zu erreichen, weil auch Neigung, Mut und Geschick dazugehören. Wer es einmal versucht hat, wird feststellen: Nur, wenn die Disziplin irgendeinen Erfolg zeigt, werden wir damit glücklich oder wenigstens zufrieden sein. Erfolge werden aber (außerhalb des Leistungssports) nicht ausschließlich, ja nicht einmal überwiegend, durch Disziplin erreicht. „Disziplin sollte ein Ausdruck des Wollens sein“, meint Fromm, und deshalb mag als Disziplin gelten, sich auch bei der Liebe Prioritäten zu setzen und Ziele zu verfolgen. In der Tat bemerken viele Beobachter heute:Wenn die Suche nach dem Lebenspartner dauerhaft ziellos betreiben wird, ist nicht mit Erfolgen zurechnen

Liebe und Konzentration Konzentration – auf Deutsch also etwa „sich einengen auf ein Thema“ ist für die Liebe interessant, weil diese Methode dann zum Ziel führt, wenn sie klug angewendet wird. Der Autor Gregor Philipp Lindner ersetzt das Wort in seinem Text 50 Jahre später durch „Aufmerksamkeit“ und wählt damit den besseren Begriff: Wir gewinnen die Liebe durch Aufmerksamkeit und Interesse an den Belangen des Partners.

Liebe und Geduld Eine lang anhaltende Liebe erfordert immer Geduld, weil bei einem Paar zwei Individuen zusammenkommen, die das „Gemeinsame“ erst erforschen müssen. Nahezu jeder, der sich mit der Liebe beschäftigt, hat schon einen Menschen getroffen, der behauptet, keine Zeit für die Liebe zu haben und dennoch einen Partner zu suchen. Hinzu kommt in neuerer Zeit eine Abneigung gegen alles, was sich nicht sofort realisieren lässt. Liebe erfordert daher tatsächlich Geduld.

Dem Ideal der Liebe, wie er sie sieht, stellt Fromm den Verfall gegenüber, den er 1956 zu erkennen glaubt. Diese Thesen werden später als „äußerst aktuell“ bezeichnet werden – sie waren es allerdings schon in der Zeit vor Fromm (interpretiert und teils verallgemeinert)

1. Die Liebesbeziehung zur gegenseitigen sexuellen Befriedigung oder zur Befriedigung der Lust an sich. 2. Die Liebesbeziehung als gemeinsames, erfolgreiches Handeln des Paares. 3. Die Variante, nicht lieben zu können, aber Liebesbeziehung einzugehen, um geliebt zu werden. 4. Eine Liebesbeziehung, in der Vater oder Mutter durch den Partner ersetzt werden sollen. 5. Die „abgöttische“ Liebe, die den Partner „auf einen Sockel stellt“ und ihn götzenhaft verehrt („die Große Liebe“) 6. Die „sentimentale“ Liebe, die man auch als Gartenlaubenromantik odre „romantische Liebe“ bezeichnen könnte. 7. Weitere Liebesformen, die im anderen etwas sehen, was er nicht ist.

Spätere Autoren haben daraus geschlossen, die „Suche nach Liebe“ sei im Prinzip ein Irrtum, und unser heutiges Verhalten – zum Beispiel die Suche nach Liebe im großen Stil via Internet – sei deshalb verwerflich. Dieser Aspekt ist es Wert, aufgegriffen zu werden, erfordert aber eine recht genaue Analyse.

Die Soziologie – nicht nur bei Fromm - ist eine der wenigen Wissenschaften, die Beim Thema Liebe „gesellschaftliche Disziplin“ einfordert. Sie glaubt zu wissen, was notwendig ist, um den Menschen zu vervollkommnen. Das Unvollkommene, das Werdende und Wachsende ist ihr suspekt, und sie ist geneigt, ander Auffassungen über die Liebe als „Irrtümer“ zu bezeichnen. Obgleich Soziologen die Liebe idealisieren, sehen sie ihre Zukunft pessimistisch – das ist heute (2015) ähnlich wie 1956, als Fromm die Kunst der Liebe veröffentlichte. Als abschreckendes Beispiel mag das 2009 erschienene überaus pessimistische Werk „Das Ende der Liebe“ gelten, in dem im Prolog zu lesen ist: „Die Liebe war eine Schwester der Freiheit. Nun reißt die Freiheit sie mit in den Tod.“

Meinung

Je genauer jemand versucht, die Liebe zu beschreiben, umso sicherer verfehlt er sein Ziel. Soziologen glauben, dem Anspruch der genauen Beschreibung verpflichtet zu sein – und vergessen dabei den Kern der Liebe, der absolut irrational ist. Die Liebe ist eben nicht tugendhaft, nicht diszipliniert, nicht eingeengt und nicht gezähmt wie ein Zirkustier.

Das bedeutet nicht, jeden Versuch aufzugeben, sie zu beschreiben. Es mag sogar sehr wichtig sein, weil die Liebe nach wie vor viele Feinde hat, denn nicht nur die Soziologie bemächtigt sicher ihrer Definition. Als Feindin der Liebe gilt wahlweise der Sozialismus wie der Kapitalismus, die Freiheit wie der Zwang, die Frauenunterdrückung wie die Frauenemanzipation, der Katholizismus wie das Heidenleben. Doch all dies hilft uns gar nichts: Wenn wir die Liebe definieren wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen – und nicht in den jeweiligen Kathedralen der Besserwisserei.

Zitate aus: Fromm, Erich: Die Kunst des Liebens. (Zuerst 1956 erschienen), aus Lindner, Gregor Philipp „Die individuelle Liebe“ (2010) und Hillenkamp, Sven „Das Ende der Liebe“ (2005).

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